Liongia da tartuffels (rätoromanisch: Kartoffelwurst) ist eine luftgetrocknete Rohwurstspezialität aus der Region Sursevla (Bündner Oberland) und dem Val Lumnezia im Kanton Graubünden sowie aus dem Engadin in der Schweiz. Die Liongia da tartuffels wird zu einem Teil mit gekochten und gepressten Kartoffeln gestreckt; sie ist daher eine typische Arme-Leute-Wurst. Heute ist die Wurst in der Datenbank „Kulinarische Erbe der Schweiz aufgenommen.
Geschichte der Liongia da tartuffels
Da die Kartoffel als Nahrungsmittel (die ersten im Jahr 1717 in Marschlins bei Landquart angepflanzten Kartoffeln waren Zierpflanzen) selbst erst Mitte des 18. Jahrhunderts im Bündnerland angepflanzt wurden, wurde die Liongia da tartuffels vermutlich erst im späten 18. Jahrhundert das erste Mal hergestellt.
Liongia da tartuffels ist ein typisches Produkt der Hausschlachtung, entsprechend vielfältig sind auch die Rezepte für diese Wurst. Um möglichst viel Wurst aus dem geschlachteten Schwein zu erhalten, wurde ein Teil des Fleisches, das für die Herstellung von Wurst vorgesehen war, mit zerkleinerter Leber und gekochten und gestampften Kartoffeln „gestreckt“. Um die Kartoffeln zumindest optisch zu kaschieren wurde die Fleisch-Kartoffelmasse dann mit dem Schweineblut dunkel bis beinahe schwarz eingefärbt, bevor sie in Schweinedärme gefüllt und zum Trocknen an die frische Luft gehängt wurde.
Der Anteil der Kartoffeln in der Liongia da tartuffels konnte dabei gut als Gradmesser für den Reichtum bzw. die Armut der Familie dienen: je höher der Anteil an Kartoffeln in der Kartoffelwurst, desto ärmer war die Familie. Es kam durchaus vor, dass die Liongia da tartuffels ausschließlich aus gekochten Kartoffeln, gemischt mit Schweinespeck, Blut und Gewürzen, bestand. Der Bündner Volksmund sagt daher bis heute „las ligiongias catschen cagls“ (Die Würste schlagen aus), womit angedeutet werden soll, dass die Würste ziemlich viele Kartoffeln enthalten und wie alte Kartoffeln im Frühling im Keller „ausschlagen“.
Liongia da tartuffels war früher eine Alltagswurst und wurde nur von der Familie gegessen. Gästen servierte man die edlere Variante der Wurst ohne Kartoffeln, die „Sonntagswurst“ oder „Andutgel“ genannt wurde.
Die Liongia da tartuffels war bis in die 1960er und 70er Jahre kaum käuflich zu erwerben, da sie fast ausschließlich bei den Hausschlachtungen für den Eigenbedarf hergestellt wurde. Erst mit dem Rückgang der Hausschlachtung wurden sie auch vermehrt von Metzgern hergestellt und verkauft. Heute ist die Liongia da tartuffels eine weit bekannte Spezialität aus dem Bündnerland und für die lokalen Metzger eine der meistverkauften Würste.
Herstellung von Liongia da tartuffels
Zur Herstellung von Liongia da tartuffels werden mehlig-kochende Kartoffeln gekocht und dann zusammen mit Schweine- und Rindfleisch im Verhältnis 1:3 bis 1:1 sowie etwa 10 bis 20 Prozent Rückenspeck gewolft und mit Schweineblut dunkel bis beinahe schwarz eingefärbt. Anschließend wir die Masse mit Nitritsalz oder Salz und Salpeter und Gewürzen wie Pfeffer, Nelken, Muskat, Piment, Lorbeer, Wacholder und Knoblauch und ggf. Rotwein gemischt und dann in Schweinedärme zu Würsten von etwa 20 cm Länge und einem Gewicht von etwa 180 bis 220 g abgefüllt.
Die Würste werden dann an der frischen Luft bei Temperaturen von maximal 12°C für zwei bis drei Wochen zum Trocknen aufgehängt. Dabei werden sie regelmäßig kontrolliert und ggf. umgehängt, so dass die einzelnen Würste alle gleichmäßig trocknen können. Während der Trocknungsphase bildet sich an der Oberfläche ein weißer Edelschimmel, der durchaus erwünscht ist und den Geschmack der Wurst positiv beeinflusst. Dieser Edelschimmel wird von einigen Metzgern vor dem Verkauf entfernt.
Nach der Trocknungsphase ist die Kartoffelwurst dann verzehrfertig, sie kann aber auch noch bis zu einem Monat problemlos aufbewahrt werden, wobei sie dunkler und härter wird.
Neben der klasssischen, mit Schweineblut dunkel gefärbten und luftgetrockneten Liongia da tartuffels gibt es noch eine Brühwurst-Variante der Kartoffelwurst ohne Blut, die mit Wurstbrät und gekochten Kartoffeln hergestellt und vor dem Verzehr im siedenden Wasser erhitzt und gegart wird.
Aussehen und Geschmack
Liongia da tartuffels hat eine für Rohwürste typische trockene und rauhe Oberfläche, die, je nach Hersteller, mit Edelschimmel bedeckt ist. Die Wurst ist dunkel und beinahe schwarz und hat eine mittelfeste Konsistenz, die mit der Dauer der Lagerung immer fester wird. Die Wurst schmeckt würzig und hat einen leichten süßlichen Geschmack.
Liongia da tartuffels wird roh mit Brot zum Frühstück oder als Zwischenmahlzeit gegessen oder als Beigabe zum Aperitif gereicht. Sie kann als Fleischbeilage auch Gerichte wie Polenta, Maluns oder eine Suppenmahlzeit begleiten. Die Brühwurst-Variante aus Kartoffeln serviert man traditionell zu eingeweichten und erwärmten Dörrfrüchten.
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